12109 ... 12110 ... 12111! Zwölftausendeinhundertelf Verse umfassen die beiden Teile von Goethes Faust-Dichtung – von der Beschwörung der Erinnerung (»Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!«, Vers 1) bis zur Errettung Fausts durch das weibliche Prinzip (»Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan«, Verse 12110/12111). Der «Faust» ist nicht nur der deutsche Dramenklassiker schlechthin, er ist in erster Linie ein dramatisches Monumentalwerk. Peter Steins Inszenierung einer ungekürzten Textfassung beider Faust-Teile im Jahr 2000 dauerte 22 Stunden. Kann man so machen. Muss man aber nicht.
In «Goethes Fäuste – stark gekürzt» suchen die Schauspieler*innen der Tollhaus Theater Compagnie mit alchemistischer Lust nach des Dramenpudels Kern, nach der Faust-Essenz, dem Goethe-Kondensat. Immer auf der Jagd nach der Antwort auf die Frage, ob das Stück überhaupt noch lebt oder ob es schon riecht, sezieren sie voller Spiellust wohlbekannte und weniger bekannte Szenen und befragen sie auf Mephisto kaum raus nach ihrer Bedeutung für das Hier und Jetzt.
Auf ihrer Reise durch die Eingeweide des Dramas stoßen die Schauspieler*innen dabei, wenig überraschend, auf die großen, universellen Menschheitsthemen – Liebe, Tod und Teufel, Sinnsuche und Depression, Mann und Frau, Jugend und Alter, Armut und Reichtum, Sex und Crime und Geld. Sie stoßen aber auch an die Grenzen ihres Verständnisses (»Moment mal, was ist das denn jetzt? Ich glaub, ich bin im falschen Film!«) und ihrer Geduld (»Können wir jetzt weitermachen? Wir haben noch Faust II vor uns!«)
Doch am Ende – und da sind eher zweieinhalb Stunden vorbei als 22 – erweist sich der Faust als zeitlos frisch und quicklebendig.